Handwerk statt Studium? Mehr als nur ein Plan B

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Vom Hörsaal in die Werkstatt: Walter Macke und Carolin Walter helfen Studienaussteigern bei der Suche nach neuen Berufsperspektiven im Handwerk.
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Vom Hörsaal in die Werkstatt: Walter Macke und Carolin Walter helfen Studienaussteigern bei der Suche nach neuen Berufsperspektiven im Handwerk.

Was haben Günther Jauch, Claudia Roth, Brad Pitt und Bill Gates gemeinsam? Sie alle haben das Studium ohne Abschluss beendet.Handwerk statt Studium? Mehr als nur ein Plan B

Die Liste ließe sich beliebig weiter fortsetzen und dokumentiert eindrucksvoll, dass viele Prominente aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Medien ihre wahren Talente nicht im Hörsaal entfalten können. Bei  renommierten Moderatoren der deutschen Fernsehlandschaft, nehmen wir beispielsweise Johannes B. Kerner oder Jörg Pilawa (auch zwei von "denen"), mag die Entscheidung für einen derartigen Einschnitt auf größere gesellschaftliche Akzeptanz stoßen. Immerhin haben die etwas erreicht.

Seit dem 1. Februar 2015 hat die Handwerkskammer Hildesheim-Südniedersachsen einen der insgesamt 18 bundesweiten Zuschläge für das Projekt JOBSTARTER plus "Perspektive: Berufliche Bildung!" ("Pe:BB!")  erhalten. Das Projekt wird aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und des Europäischen Sozialfonds gefördert. Es richtet sich an Studienaussteiger, die sich eine Lehre im Handwerk vorstellen können.

Zwei Mitarbeiter der Handwerkskammer spinnen seitdem ein Netzwerk zwischen Universitäten und Fachhochschulen, Handwerksbetrieben, Kreishandwerkerschaften sowie den regionalen Agenturen für Arbeit, um jungen Menschen ohne Studienabschluss neue Perspektiven im Handwerk aufzuzeigen. Carolin Walter hat als studierte Organisationspädagogin bereits an der Technischen Universität Braunschweig Studierende beraten, bei denen es im Getriebe knirschte. "Potenzielle Studienaussteiger zeigen oft die klassischen Symptome: Viele verlieren in ihrem Studium die Orientierung oder leiden unter dem enormen Leistungsdruck", weiß sie zu berichten. Die oft hinausgezögerte, aber in vielen Fällen überfällige Entscheidung, das Studium ohne Abschluss zu beenden, wird zudem von Zukunftsängsten und Minderwertigkeitsgefühlen begleitet. "Viele wissen einfach auch nicht, welche Alternativen der Arbeitsmarkt für sie bereithält", ergänzt Walter Macke, der als gelernter Fleischermeister und ehemaliger Betriebsinhaber schon zahlreiche Projekte der Beruflichen Bildung für die Handwerkskammer begleitet hat.

So sind es gerade die in den nächsten Jahren dringend zu besetzenden Führungspositionen im Handwerk, die für die Fast-Akademiker reizvoll sein könnten. "Es ist diesbezüglich noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten", so Macke, "damit die Entscheidung für eine Lehre im Handwerk, mit anschließender Weiterbildung zum Meister oder Betriebswirt (HWK), nicht mit sozialem Abstieg gleichgesetzt wird."

Die Rekrutierung ausbildungswilliger Ex-Studierender soll in den kommenden Monaten in enger Zusammenarbeit mit den Hochschulen im Kammerbezirk erfolgen. Informations­flyer, die an zentralen Orten an den Universitäten ausgelegt werden, sollen neben der Teilnahme an Messen, Karrieretagen und Informationsveranstaltung eine größtmögliche Zielgruppe erreichen und Angehörige oder Freunde von Interessierten für das Thema "alternative Karrierewege im Handwerk" sensibilisieren.

Nach nur wenigen Tagen konnte dank kurzer und unbürokratischer Wege bereits zu zwei Interessenten der Kontakt hergestellt werden. Darunter ein Student, der sich für eine Lehre im Tischlerhandwerk interessiert. "Wir beginnen im Gespräch mit einer Analyse, in der wir die beruflichen Vorstellungen der Kandidaten abklopfen, wir geben zudem nützliche Informationen zu Überbrückungs- und Finanzierungsmöglichkeiten und bieten auf Wunsch an, die Eltern in den Prozess einzubinden. Danach geht es in die praktische Phase, mit zielführenden Schnupperpraktika oder Exkursionen in Betriebe", so Carolin Walter über den ausgearbeiteten Plan, der in insgesamt 10 Schritten zum Traumberuf führen soll. "Sehr interessant für die Hochschüler ist zudem die Option, dass sie sich die bereits erworbenen Qualifikationen, unter Beachtung der Mindestausbildungszeit, anrechnen lassen und ausbildungsbegleitend Lehrgänge zur Vorbereitung auf die Meisterprüfung absolvieren können", berichtet Walter Macke.  

Der Ausstieg aus einer ungeliebten Sache kann etwas wirklich Befreiendes sein, finden die beiden Projektbeauftragten. "Aussteigen, umsteigen und neu einsteigen, verborgene Talente entdecken und nach langer Zeit, vielleicht sogar erstmals wieder nach der Schule das Gefühl zu haben, eine bestimmte Sache richtig gut zu beherrschen und durch Leistungen glänzen zu können", fasst Carolin Walter den psychologischen Effekt zusammen, den eine angestrebte Karriere im Handwerk mit sich bringen kann.

Bundesweit verlassen jährlich im Schnitt 28 Prozent aller Studierenden die Hochschule ohne einen Abschluss. Allein im Kammerbezirk Hildesheim-Südniedersachsen stehen in den nächsten Jahren viele hundert Betriebsübernahmen an, von denen zahlreiche noch ungeregelt sind, da gerade bei den Führungskräften der nötige Nachwuchs fehlt. "Es ist höchste Zeit, Vorbehalte abzulegen und auch auf Seiten der Betriebe die Chance zu erkennen, die diese neue Zielgruppe mitbringt", empfiehlt Walter Macke.